Samstag, 3. Dezember 2011

Was gibt es zuerst, bzw. was war zuerst da – das Klischee oder die Sache, über die man sich lustig macht?

Die letzten zwei Jahre ging ich zum Sport zu einer Fitnesskette, wo sich rüstige Rentner in stählerne Monstren zwängten und mit roten Köpfen ihre gebeugten Körper wieder ins Lot zu bringen versuchten. Besser als vor dem heimischen Fernseher einen unbemerkten Tod zu sterben und monatelang rumzuliegen und mit dem Geruch die Nachbarn zu belästigen. Und es hatte auch einen gewissen Unterhaltungswert faltige alte Männer in Feinrippunterhemden beim Sport zu beobachten, einer ähnelte dabei erstaunlich Opa Simpson.
Am neuen Wohnort – mitten im Ruhrpott – gibt es keinen Rentnerfitnessklub und so muss ich meinen Rücken, quasi unter Wettbewerbsbedingungen, stählen. Witten liegt nun doch eher am Rande des Ruhrpotts, denn die bekannten Metropolen Essen, Duisburg und Gelsenkirchen sind doch einige Kilometer entfernt. Schimansky und Co treiben ihr Unwesen also doch eher an anderen Orten. Doch in meinem neuen Fitnessstudio könnte ich ganze Tage am Stück verbringen und Leute beobachten. Man könnte Karikaturen von echten Menschen zeichnen und diese in einer Bilderausstellung der breiten Öffentlichkeit zugänglich machen. Dokumentarfilme über Träume von der Schwarzeneggerkarriere und deren Zerplatzen würden die Arte Redaktion in Wonne versetzen. Nun gut. Ganz so aufgepumpt wie der Ex-Terminator sind meine Kollegen aus der Muckibude nun doch noch nicht. Die Ballonhosen, die ich noch aus Berlin kenne, scheinen auch aus der Mode gekommen zu sein. Schade. Der Laden befindet sich in einem ehemaligen Verwaltungsgebäude des Weichenwerks Witten, eingekeilt von Bahngleisen und Werkshallen. Industrieromantik pur. Das Haus würde ich glatt kaufen, allerdings weiß ich nicht, was ich mit drei Etagen mit jeweils ca. 500 qm soll, aber die Immobilie ist echt ein Kracher. Man betritt den Laden und steht gleich in der Mitte des Kraftraums für Normalbefähigte. Am Tresen in der Mitte befinden sich entweder die Trainer oder ein Schild: Bin in der 2. Etage. Dann weiß man, der Homunkulus von einem Mann, ein balkanesischer Typ ca. Mitte 20, trainiert während der Arbeitszeit und wenn einem unten ein Arm in die Mechanik gerät, dann hat man doch bitte mit dem anderen das Gewicht anzuheben um ersteren zu retten. Auf der zweiten Etage befinden sich die Hantelbänke und seltsame Gerüste mit Stangen aus glänzendem Stahl, deren Funktionsweise mir allerdings ein Rätsel ist. An einem könnte man beruhigt gefrorene Rinderhälften aufhängen und es würde nicht auffallen geschweige denn anfangen zu wackeln. Erinnert ein wenig an die amerikanischen Knastfilmen, nur das bei uns nicht mit alten Heizkörpern trainiert werden muss. Unter dem Blechdach befinden sich die Kardiogeräte und der Raum für die Kurse. Da können die Benutzer dann auf Laufbändern auf der Stelle treten, Nordic-Walking betreiben ohne in die fiese Natur zu müssen und ohne Ampeln Radfahren. Wenn ein paar Irre vor imaginären Feinden fliehen und sich dabei einen Wolf rennen, dann bebt die ganze Etage und der Boden schwingt hin und her. Aber das erschüttert den Bau aus dem 19. Jahrhundert nicht.
Ein ganz normaler Trainingstag hat 24 Stunden. Für meinen Mitgliedsbeitrag könnte ich da quasi einziehen und hätte es warm, Strom und sogar auch ein paar Duschen. Ich erinnere mich dabei an die alten Filme mit Adriano Celentano, in denen er sich vor Mördern und Banditen verstecken musste und mit weiblicher Begleitung in einer Billardhalle schläft. Vielleicht könnte ich es mir mit meinem Schlafsack auf einem Laufband oder einer der Sportmatten bequem machen, auf denen man sonst den Bauch trainiert. Würde mich mal interessieren, welche Reaktionen es hervorruft. Die Bude könnte ich dann an ein paar Bergarbeiter vermieten, vorausgesetzt dass sie mir mit ihren Kohlefingern keine Flecken in die Bücher machen.
Man betritt also diese Institution der Leibesertüchtigung und begrüßt freudig die Trainerin – oder das Schild, welches einem verrät das der Homunkulus in der zweiten Etage ist. Aber diese Trainerin muss näher beschrieben werden, da sie so perfekt an diesen Ort passt. Eine Frau, vielleicht fünf bis zehn Jahre älter als ich, man kann es nicht genau feststellen, da das künstliche UV-Licht der Sonnenbank die Haut stark verändert, blond, läuft in einem schwarzen Jogginganzug mit drei goldenen Streifen durch den Laden. Eine nähere Aufgabe scheint sie nicht zu haben, außer dass sie vielleicht die Kaffeemaschine bewacht und ältere Männer vollquatscht. Alle paar Minuten öffnet sich die Tür und zumeist breite junge Männer betreten den Laden. Oft in Baumwolljogginghosen und mit Winterjacke mit Pelzverbrämter Kapuze, deren Haarbesatz sich um ihren Hals ringelt. Was für eine Kombination. Sie sehen aus, als ob sie nur Schnell von der Couch zu ihrem Dealer wollen und sich dabei durch sibirische Kälte kämpfen müssen. Für den Abtransport der heißen Ware bringen sie ganze Sporttaschen mit, um das Haus in den nächsten Wochen nur nicht mehr verlassen zu müssen. Sie gehen immer durch dieselbe Tür, kommen aber nie wieder in den Raum für Normalbefähigte zurück. Ist ein wenig wie im Dritten Reich. Auffallend viele junge Mädchen tauchen auf. Aber auch sie kehren nicht zurück. Beim Weg unter das Blechdach sieht man sie wieder. Sie rackern sich zu geradezu ulkiger lateinamerikanischer Musik ab, schwitzen sich die Alkopops des letzten Wochenendes aus dem Körper und hampeln auf der Stelle herum und verströmen dabei so viel Hitze, dass das Kondenswasser von Innen an der Glastür herabläuft. Im restlichen Haus ist es angenehm temperiert, sodass die sich schon ganz schön ins Zeug legen müssen, damit der Schweiß die Wände hinabrinnt. Irgendwann hat auch die Kursleiterin ein Einsehen und öffnet Türen und Fenster, sodass die schmalzigen Latinoklänge durch das ganze Gebäude dröhnen und sogar die Fernseher vor den Laufbändern übertönen. Was nicht gerade schlimm ist, denn auf die Dialoge der dargebotenen CSI-CIS-Serien kann ich getrost verzichten. Sie lenken nur von den schaukelnden Brüsten der blonden Frau auf dem Laufband gegenüber ab, auf die man sonst unweigerlich schauen würde. Auf dem Weg in die Umkleidekabine muss man an der Latinohölle vorbei und begegnet in der mittleren Etage dem Homunkulus, der entnervt die Tür zum Treppenhaus schließt, um sich in Ruhe seiner affenhaften Konstitution widmen zu können.

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Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

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