Sonntag, 7. August 2011

Mit der Regionalbahn unterwegs nach Witten oder die Linie 1 von NRW

Gestern machte ich mich zwecks Wohnungssuche von Aachen mit der Bahn auf den Weg nach Witten. Da ich aus Mobilitätsgründen mein Fahrrad dabei hatte, musste ich im dafür vorgesehenen Abteil Platz nehmen. Allerdings fuhr ich diesen Weg gestern ohne das für Bahnfahrten eigentlich obligatorische Ohropax, was mir so manche Begegnung bzw. Erfahrung nicht ersparte. Da es sich um den Hin- und Rückweg handelte, der Zug allerdings unterschiedliche Strecken fuhr, mag die Bezeichnung „Linie 1“ nicht ganz korrekt sein, aber ich verwende sie trotzdem, da mir es ansonsten schwerfällt dieses Konglomerat aus Charakteren sinnvoll unter einen Nenner zu bringen:

Von Aachen nach Köln: war die Welt noch in Ordnung. Aufgrund der samstäglichen frühen Stunde war der Zug angenehm leer, bis in Köln die ersten Radwanderer einstiegen. Es handelte sich um zwei Ehepaare, Mitte fünfzig, die einige Tage das Sauerland befahren wollten. Die Räder, recht neu und selten gebraucht, füllten das kleine Abteil zu einem beträchtlichen Teil. Die Männer fingen gleich an sinnlos zu fachsimpeln. Wie viel Druck benötigt ein Fahrradreifen und dass die kleinen Pumpen ja nur Spielerei wären. So ging es munter weiter. Kurz hinter Köln stieg aein, wahrscheinlich bei Loriot entsprungenes Ehepaar – samt Rädern – zu. Beide Ende sechzig/Anfang siebzig. Er trug ein blaues kurzärmliges Hemd, welches er säuberlich in die kurze beige Hose gesteckt hatte, graue Socken, die bis zum Wadenbein straff hochgezogen waren und braune Alltagsschuhe. Sein Haupt zierte graues Haar, welches derart verstrubbelt war, dass man an den Herrn in der Badewanne mit der gelben Ente denken musste. Seine Frau war das passende Äquivalent: Rote lange Hosen, eine graue Weste und einen Mobshaarschnitt. Immer, wenn sie ihn was fragte, er aber anderer Meinung war, fragte er mit Nachdruck: „Verstehst du das denn nicht?“ Man hätte die Räder übereinander stapeln können, so voll war es. Ein Mann betätigte im halbminutenabschnitt seine Fahrradklingel, um ein kleines Kind zu erfreuen, dessen breite Mutter sich erfolgreich die Automatennummer abgeschrieben hatte, da dieser ihr keine Fahrkarte geben wollte. Ob sie nun auf diesem Wege eine Schwarzfahrt vertuschen oder sich einfach nur absichern wollte, sei dahingestellt. Sie war jedoch voll informiert, auf welchen Bahnhöfen wo wie viele Fahrstühle installiert wären, wo man Geld verschwendet hätte und was man hätte besser machen können. Ich wollte sie schon fragen, ob sie Juristin oder Lehrerin ist. Es gelang mir, das Rad über dem Kopf balancierend in Bochum den Zug zu verlassen.
Von Bochum nach Witten: Schon auf dem Bahnhof fiel mir ein junger Mann auf, der ein untertassengroßes Logo des 1. FC Köln auf die Wade tätowiert hatte, der sich mit einer jungen Frau unterhielt. Er schwärmte von einer Auswärtsdauerkarte des FC und langweilte mit seinen Ausführungen offensichtlich seine Begleitung. Meine Aufmerksamkeit wurde im Zug jedoch von einer Frau auf sich gezogen, die mir gegenüber saß und morgens um 10 genüsslich ein Bier trank, deren Telefon klingelte. Sie begrüßte den Telefonteilnehmer freudig und berichtete auch gleich von einer Begegnung auf dem Hauptbahnhof in Essen. Sie habe den X getroffen, den sie von der Entgiftung her kenne. Der hatte eine Bierfahne, aber sie würden zusammenhalten, da sie ja ebenfalls ein paar Biere im Gepäck habe und ja ebenfalls gerade einen Tag frei von der Therapie habe. Diese laufe so lala. (Kein Wunder). Außerdem habe sie noch den Y getroffen, den sie ja noch von Früher kenne. Der Kurzaufenthalt in Essen hätte sie mental total runtergezogen. Sie werde heute Abend zugegebenermaßen Alkoholmissbrauch betreiben, aber immerhin besser als ein „Blech zu rauchen“. Raue Sitten im Ruhrgebiet.
Von Witten nach Düsseldorf war absolute Ruhe und ich konnte mich nackt im Zug sitzend auf die Trocknung meiner Gewänder freuen, da ich in Witten in einen wahren Wolkenbruch geraten war. In Düsseldorf wurde es wieder voll. Paare mit Rädern, beladen mit riesigen Satteltaschen, lieferten sich Wortgefechte mit dicken Müttern, bewaffnet mit ungeheurer Leibesfülle, Kodderschnauzen und Kinderwagen, um zu wenige Sitzplätze. Die verbale Keilerei endete damit, dass die dicken Mütter, wie die Glucken, auf der linken Seite des Zuges saßen, zum Glück war es kein Zug mit Neigetechnik; und die Radler im Gang standen. Schon nach zehn Minuten hätte ich 50 Euro verwetten können, dass das Volk von Gebärmaschinen als Zielbahnhof Rheydt anstrebte. Sie schwadronierten lauthals darüber, welche von ihnen jetzt schon wieder einen hätte „reißen“ lassen, was die genaue Übersetzung von “fuck you“ wäre und ob die Bahn denn nun die Türen so lange geschlossen halten dürfte, bis man die schwarzfahrenden Jugendlichen, die munter durch den Zug streiften und immer auf der Hut vor dem Schaffner waren, erwischt hätte oder ob dies an Freiheitsberauben grenzen würde. Getrost konnte ich mein Geld behalten, denn sie stiegen alle artig in Mönchengladbach aus und liefen, wahrscheinlich, zu Fuß nach Rheydt. Ein Satz klingt mir noch deutlich in den Ohren: „Wo ist denn der Jasmin? Der soll mal mit der Maria runter kommen. Wir müssen doch die Fahrkarten zeigen.“ Ich fühlte mich an Nachmittage auf niederrheinischen Fußballplätzen erinnert.
Zurück blieb ein Pärchen, welches ebenfalls bei einer Radtour ordentlich in den Regen gekommen war und nur noch nach Hause wollte. Leider hatten sie vergessen Tickets für die beiden Fahrräder zu besorgen, was eine Zahlung von 80 Euro nach sich zog. Der Mann sagte nur recht pragmatisch: „Der Tag war sowieso schon scheiße, da fällt das gar nicht mehr auf.“
Vielleicht fahre ich in Berlin einfach mal fünf Stunden mit der Ringbahn, ob man da auch so viel Spaß hat?

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gezettelt

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Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

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