Dienstag, 3. Mai 2011

Ein Morgen mit Hamburg Heiner

Heute habe ich frei, was so kurz nach den Ferien natürlich kein Frei sein kann, da man ja gerade zwei Wochen frei hatte, sondern nur zur Verfügung gestellte Zeit zur Korrektur der Abiklausuren, die in der Tasche ihren bösen Duft in alle Räume verströmen, so wie alter Käse im Kühlschrank oder faulende Kartoffeln in der Speisekammer.
Recht lange geschlafen, da man ja nicht um acht bzw. um neun nicht den Dompteur spielen muss. Eine Hose angezogen und los zum Supermarkt, der in der Nachbarschaft liegt, aber da man um drei Ecken muss, für späte oder frühe Einkäufe, gedanklich immer recht weit weg erscheint. Auf die Ohren gibt es Regeners Logbücher und Zwiegespräche mit Hamburg Heiner.
Wer dabei großartig literarisches erwartet hat wird allerdings enttäuscht. Regener ist zum Erscheinen der Element of Crime CD „Mittelpunkt der Welt“, wahrscheinlich aus Marketinggründen, dazu verdonnert worden einen Blog zu schreiben. Man merkt ihm den Widerwillen zu Beginn des Buches deutlich an und er ruft einem einmal aufs Neue die partielle Sinnlosigkeit des Internets in Erinnerung. Da finden sich alte, längst verschollen geglaubte Oktopusgedichte in den Tiefen wieder, User berichten welchen Kuchenteig sie lieber mögen und und und. Man erkennt, dass man sich mittlerweile wahrscheinlich schon zu stark an dieses Medium gewöhnt hat und der Übergang zum Nullmedium fließend ist und kaum noch bemerkt wird.
Als besonderer Kritiker schaltet sich Regeners alter Freund Hamburg Heiner alle paar Seiten ins Geschehen ein und rüffelt den Autoren auf das Schärfste. Sie geraten in ihren Zänkereien vom Hölzchen aufs Stöckchen und die Gespräche nehmen ungeahnte Wendungen. So gerät eines davon aus den Fugen und plötzlich unterhalten sie sich über ein erworbenes Latinum an der TU-Berlin, welches doch recht sinnlos erscheint, da es nur für die TU Gültigkeit besitzt, wenn man an eine andere Universität ginge, so müßte man ein neues erwerben, was Regener durchaus beführwortet, weil bei jedem neuen Latinum etwas mehr von der Sprache behalten würde, was ja nicht all zu schlecht wäre. Zudem hätte man dann auch zwei Latinii, Latina. Die Gesprächspartner denken über den Plural von Latinum nach und kommen darauf, dass in Italien die Getränkedose Lattina heißt.
Im Supermarkt wird man, während man den Einkaufswagen mit Brackwasser aus Plastikflaschen, Milch, Eiern und dem eigentlichen Grund des Kommens, einem Paket Kaffee, volllädt, mit neuen sinnfreien Gedanken Regeners konfrontiert. Dabei winkt der türkische Fleischer einem schon durch den halben Laden zu. Er ist immer zu einem Gespräch über Kinder, Erziehung, Kontrolle von Hausaufgaben bereit und hat auch auf Nachfrage gute Ausflugstipps fürs Wochenende parat. Aber heute bin ich zu sehr vom Autor der Lehmann-Trilogie in den Bann gezogen. Trilogie ist ein starkes Wort. Es erinnert an Grass‘ Danzigromane, an Krieg der Sterne, wobei das ja dann doch eher sechs Filme sind, an Herr der Ringe und so. Kann also nicht auf einen Schwatz bleiben, grüße freundlich winkend zurück und spurte bis zur Kasse, wo ich fast in den Haufen alter Hausfrauen hineingefahren wäre und womöglich noch bei einem Zusammenstoß wegen fahrlässiger Tötung verknackt worden wäre. So muss ich mit ansehen, wie drei Dosen Katzenfutter verkauft werden, die Katze aber anscheinend noch keinen großen Hunger haben kann, da die Besitzerin noch schnell beim Befüllen des Zigarettenregals hilft, ohne eine Schachtel einzustecken. Dem Gespräch entnehme ich, dass es sich um ein eingespieltes Team zu handeln scheint. Vor mir ist inzwischen ein Gespräch über Slipeinlagen ausgebrochen. Diese kosten heuer nur noch die Hälfte, was die Kassiererin bestätigt und mit dem Kommentar versieht, dass sie diese trotzdem nicht kaufen würde. Daraufhin packt die Kundin, zwischen siebzig und achtzig, sie wortlos in den Wagen und verlangt nach den Treueherzen, nach denen ich glücklicherweise schon gar nicht mehr gefragt werde. Ich dachte solch alte Gewässer würden einmal versiegen.
Auf dem Heimweg komme ich an einem Wagen mit Hamburger Kennzeichen vorbei und muss unwillkürlich an Regeners Kombattanten denken, aber ob Hamburg Heiner einen Z3 fahren würde wage ich zu bezweifeln. Im Bäcker steht ein Mann mit weißen Jeans, einer ebensolchen Jacke und langem grauen Zopf. Das könnte wohl doch Hamburg Heiner sein. Denke ich und gehe Heim um meinen Frühstückskaffee zu kochen und diese sinnfreien Zeilen ins Internet zu stellen. Jemand hatte Regener gesagt, dass Blogger aufeinander eingehen sollen. Das tue ich hiermit, obwohl ich da für den Regenerblog wohl um einige Jahre zu spät komme, wobei man wieder merkt, wie geduldig das Internet ist, sodass dort sogar längst tote Menschen ihr Unwesen treiben (siehe das Bild meines Großvaters irgendwo in den alten Beiträgen).

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Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

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